Irene Runge/Igor Chalmiev
Es gab hinreichend Gründe für die Mitglieder der AG Interkulturelle Öffnung der Verwaltung – es waren vor allem Beschwerden und Klagen von Migranten – um einen Besuchstermin bei der Ausländerbehörde Nöldnerstraße zu bitten. Die kommissarische Leiterin der Behörde, Claudia Langeheine, war sofort einverstanden und führte bzw. ließ führen.
Seit der Zusammenlegung zweier Einrichtungen im Jahr 2001 amtiert ein Teil der Ausländerbehörde in Lichtenberg, in der Nöldnerstraße 34–38. Für Verwaltungszwecke mag dieser DDR-Bau aus den 50er Jahren mit seinen großen hellen Zimmern geeignet sein, doch für wartende Antragsteller sind die kärglich ausgestatteten Räume mit ihren nackten Wänden eher ein bedrückendes Ambiente. Kein Blatt Papier, kein Hinweis in eigener oder anderer Sache, kein Bild, nur einige leere Rahmen, die auf Werbeinhalte warten…
Drei Gruppen werden in der Nöldnerstraße bearbeitet: Asylbewerber, geduldete Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und geduldete Vietnamesen ohne Aufenthaltstitel. Wer der deutschen Sprache mächtig ist oder die relativ nutzerunfreundlichen Piktogramme studiert, wird auf jeder Etage korrekte Wegweiser entdecken. Wir brauchten aber einiges an Nachhilfe um zu verstehen, dass die Worte «Asyl» und «ehemaliges Jugoslawien» zwei verschiedene Menschengruppen meinen, nicht aber Asylbewerber aus Ex-Jugoslawien.
In den Warteräumen saßen Afrikaner, Türken, Kurden, Palästinenser, eher jüngere Männer, und Frauen, häufig mit kleinen Kindern. Dennoch: Kinderfreundlich ist diese Einrichtung wahrlich nicht. Grüne Netze überspannen das Treppenhaus, denn - so die Auskunft - sie gelten als Schutz für Leib und Leben sowohl der Erwachsenen als auch der Kinder. Dass sie nicht eng genug gespannt sind, um Kleinkinder im Notfall aufzufangen, scheint noch niemandem aufgefallen. Auf die Kinderfrage kamen wir übrigens mehrmals zu sprechen. Der Wickel- und Stillraum, als Piktogramm angezeigt, entpuppte sich als ein Tisch im Behinderten-WC. Die wartenden Mütter wussten davon nichts. Im verschlossenen Krankenraum lag eine Trage auf der Erde. Viel mehr Mobiliar gab es nicht. Im Notfall, so die Erklärung, käme in Windeseile die Feuerwehr. Was heißt denn das? Und wenn sie nicht so schnell kommt? Den Fall gab es noch nicht.
Einblicke wie diese waren nicht unser primäres Anliegen, aber sie drängten sich unerbittlich auf. Der mehrstöckige Bau verfügt über einen Fahrstuhl, doch ins Gebäude führt der erkennbare Weg auch für Frauen mit Kinderwagen über steile Stufen am Vordereingang.
In einer Ausländerbehörde geht es um Aufenthaltsfragen, sachliche Entscheidungen, um die Klärung von Sachverhalten im Sinne der Gesetzgebung. Der Ermessensspielraum spielt dabei eine Rolle, doch nicht selten klagen Antragsteller und Hilfsorganisationen, dass dieser nicht im Sinne der Betroffenen ausgeschöpft werde. Wo dies bewiesen werden kann, brauchen die Betreffenden gute Berater und Nerven. Ohne Beweis bleiben bittere Vermutungen übrig. Die Verwaltung hat auch die Pflicht, Verweigerungen auszusprechen, bis hin zur unangenehmen Notwendigkeit, sofortige Abschiebungen einleiten zu müssen. Diese vollziehen zivile Polizisten gelegentlich auch vor Ort. Dass und wie die gezwungenermaßen Zuschauenden über die Gründe für solche Vorfälle nicht aufgeklärt werden, rief bei uns blankes Erstaunen hervor.
Dass die Arbeit in diesem Amt ein hohes Stresspotential für alle Seiten beinhaltet, ist eine Binsenweisheit. Dass daraus kein unmittelbarer Bedarf an umfassender und kontinuierlicher psychologischer Hilfe abgeleitet wird, ist kaum zu glauben. Fast natürlich ist es daher, wenn sich der Alltag in einer Behörde, die mit zu wenig Personal, mangelnder Sprachkompetenz und einem hohen Krankenstand der Mitarbeiter im Publikumsbereich ausgestattet ist, immer wieder auf- und auch entlädt.
Weitergeflüsterte Erfahrungen, ungeprüfte Vorurteile und berechtigte Vorwürfe zeugen auf Seiten der meist stundenlang Wartenden gleichermaßen davon, dass sie sich nicht als Partner respektiert, sondern der Behördenwillkür ausgeliefert fühlen. So entsteht eine eigene, auch fehlerhafte Wahrnehmung. Für Betrachter ist es schwer, auf die Quellen der unbefriedigenden Ergebnisse zu schließen.
Von etwa 80 Mitarbeitern, vorwiegend weiblich, waren bei unserem Besuch etwa 30 Prozent wegen Urlaub, plötzlicher oder längerer Erkrankung abwesend. Jeden Morgen, so erfuhren wir, wird angesichts des Krankenstandes festgelegt, wie viele Antragsteller eine Chance per Nummer, das ist der Schlüssel zur Hoffnung auf ein wenig Glück, erhalten und bedient werden können. Falls sich im Laufe des Vormittags zeigt, dass der Andrang zu groß wird, können die Wartenden auch aufgefordert werden, am nächsten Tag wiederzukommen. Mit neuer Nummer, das Warten des Vortags kann u.U. zum Vorzugsprivileg führen. Die Umstände aber sind nicht definiert. Meist versucht der Mitarbeiterstab aus eben solchen Überlegungen, die Wartenden am gleichen Tag und in der Reihenfolge ihres Erscheinens abzufertigen.
Auf den Verwaltungsakt muss gewartet werden. In den Augen der Wartenden bemisst sich dieser Zeitraum anders als es die Uhren der Verwaltung anzeigen. Wir sprachen mit Frauen und Männern, die schon um 6 Uhr in der Frühe kamen, weil sie um 8.30 Uhr als erste die Nummer erhalten wollten. Um 11.30 Uhr warteten sie noch immer. Wie lange noch? Sie zuckten mit der Schulter, sechs oder sieben Stunden, meinten sie, sind hier Norm. Da klingt es zynisch, wenn eine Mitarbeiterin darauf verweist, dass die Behörde erst um 8.30 öffne. Wer zu früh kommt – man ist geneigt zu dichten –, den bestraft das Leben also ebenfalls.
In der Pforte unterhalten sich mehrere Pförtner. Lässt man sie rechts liegen, geht es über die breite Treppe je nach Buchstabe des Familiennamens von A–Z in die jeweiligen Sachbereiche, Etagen und Räume. Findige Verwaltungsarchitekten haben sich auch gestalterisch versucht. Herausgekommen sind grässliche kleine Parzellen, jeweils zwei nebeneinander, doch nur eine davon genutzt, die vom größeren Warteraum durch Wand und Türen abgeteilt und nach oben offen sind. Wessen Nummer aufleuchtet, darf in der Kombüse stehend mit dem zuständigen Verwaltungsangestellten durch eine Glasscheibe mit Schiebefenster über seine Fragen, Klagen, Wut oder Hoffnung sprechen. Jeder im Raum kann mithören. Weil sich aber bisher niemand hörbar daran gestört hat, gibt es auch keinerlei Überlegungen, diesen unwürdigen Zustand zu verändern. Die Erklärung ist gut gemeint. Aber wo bleibt der Datenschutz? In Einzelfällen kann das persönliche Gespräch auch in dem für das Personal reservierten Bürobereich geführt werden. Nötig ist das aus Verwaltungssicht offenbar nur selten, denn sonst würden die Akten der Antragsteller nicht einfach so auf einem langen Tisch im hinteren Mitarbeiter-Gang gereiht liegen. Wir hatten kein Problem, im Vorübergehen Namen und Anliegen zu lesen.
Dieses sonderbare Doppel-Modell ist auf allen Etagen sogar zweifach vorhanden: Einmal für die Vorklärung des Anliegens, einen Raum weiter dann für Annahme und Ausgabe des Erforderlichen.
Nach einer Informations-Theke suchten wir jedoch vergeblich. Die gute, aber kurze Erfolgsstory am Friedrich-Krause-Ufer wurde nicht kopiert. Keine Leute, keine Leute… Doch am Horizont sind kleine Hoffnungsstreifen aufgetaucht. Sagen die Mitarbeiter, und sie meinen weder Hartz IV noch den großen Stellenpool des öffentlichen Dienstes, sondern einige gerade ausgebildete Verwaltungsexperten, die demnächst die Arbeit aufnehmen sollen.
Nein, nicht die Wartezeit, auch nicht freudlose Atmosphäre sind das eigentliche Problem. Es ist der psychologische Druck, der die vielen Gesichter zeichnet. Zumindest uns fällt das auf, die wir unsere eigenen Migrationserfahrungen haben und nicht nur in solchen Fällen sehr sensibel auf nonverbale Kommunikation reagieren.
Wer hier arbeitet, hat täglich mit Menschen zu tun, die traumatisiert, entwurzelt, Konflikt geladen und verzweifelt sind. Wer hierher kommen muss, wartet auf Hilfe, wer hier sitzt, versteckt seine existentiellen Zweifel und die Furcht hinter scheinbarer Gelassenheit. Niemand will als nur eine Nummer, als beliebiger Fall, als unerwünschter Ausländer von jenen wahrgenommen werden, die in seinen Augen die Macht haben, über das weitere Lebensschicksal zu richten. Gegen dieses unausgesprochene Misstrauen muss sich das Amt sofort mit Psychologie und Wissen wappnen.
Wir haben eine Behörde aufgesucht, in der es um schwerwiegende Entscheidungen für ausländerrechtlich definierte Lebenswege von Nichtdeutschen geht. Hier heißen diese Nichtdeutschen Flüchtlinge und Asylbewerber, manche sind auch nur mit Deutschen verheiratet und müssen dies endlos beweisen. Hier sammeln sich Vertriebene, Geflohene, Heimatlose. Auch Glücksritter und Lügenbolde dürften darunter sein.
Wir haben nur Menschen getroffen, die darunter leiden, wenn ihnen die Überlebensgenehmigungen nur stück- und schrittweise erteilt werden. Viele verstehen die Zusammenhänge nicht. Das Problem ist auch ein kulturelles. Das Amt erwartet darüber hinaus auch von den Chancenlosesten, dass sie in der Landessprache Deutsch ihre schwierigen bis unlösbaren rechtlichen Sachverhalte vortragen und sogar Ablehnungen als rechtmäßig begreifen.
Die Angestellten im Hause behelfen sich mit einigen Resten Schulrussisch, etwas Englisch oder Französisch, die Mitarbeiterin mit türkischem Namen spricht Türkisch.
Obwohl der Ort auch für Palästinenser und Vietnamesen ausgewiesen ist, spricht niemand Arabisch oder Vietnamesisch. Das ist fatal. Doch noch schlimmer ist zu meinen, mit diesem Mangel könne kompetent gearbeitet werden.
In einem der hinteren Räume entdeckten wir ein Haufen verstaubtes Informationsmaterial in mehreren Sprachen aus der Ära Barbara John. Neuere Unterlagen gab es nicht. Ein großer Geburtstagskalender der Mitarbeiter war an eine Wand gepinnt. Wir hätten den interkulturellen Jahreskalender des Integrationsbeauftragten an dieser Stelle für angemessener gehalten. Nur in der Fotokabine ist für jene, die keine Passbilder mitgebracht haben, die Gebrauchsanweisung mehrsprachig: Albanisch, Serbokroatisch und Deutsch. Dafür ist die Behörde aber nicht zuständig. Immerhin zeigt das Sicherheitsbedürfnis nach 9/11, wie weltgewandt die Verwaltung reagieren kann. Diese Formulare sind so vielsprachig, wie sich die offizielle Sorge die Herkunftsregionen und -sprachen möglicher Terroristen denkt.
Es war kein sehr heißer Tag, doch von Wartenden erfuhren wir, dass die Sonne die Räume aufheize, dass die Fenster in der 1. Etage niemals und ansonsten nur bei gutem Willen der Pförtner geöffnet werden. Wir bemerkten, dass es keine Wasserspender gibt und keine Getränkeautomaten. Für eine Kantine fand sich bisher kein Pächter. Wir sahen im öffentlichen Bereich mehrsprachige sexistische und andere Graffiti an den Wänden, die irgendwann von der Hausverwaltung beseitigt werden sollen. Wir sahen auch, dass Türen eingetreten und nur notdürftig ersetzt worden sind.
Als wir gegen 12 Uhr vor dem Gebäude standen, wurden wir von Wartenden gefragt, wer wir seien. Dann erzählte man uns, wie die Behörde aus Asylbewerber-Sicht erlebt wird: als rassistisch und diskriminierend, als unhöflich und schreiend, wenn jemand widerspreche. Beweise dafür gab es nicht, aber Erinnerungen, Gefühle, Verstimmungen und ein Unbehagen, das sich aus einer erdrückenden Fremdheit ohne die Gewissheit von Selbstbestimmungsmacht zu ergeben scheint.
Das Behördenselbstbild hat mit diesem Fremdbild sehr wenig zu tun.
Wir spürten die Unsicherheit in der Freundlichkeit der Wartenden, die uns aus den Augenwinkeln oder sehr direkt beobachtet hatten. Nein, diese Männer und Frauen haben meist nicht mehr den Mut und noch nicht die Kraft, sich zu beschweren. Sie sehen keine Chance darin, auf ihre Rechten zu bestehen, falls sie sie überhaupt kennen. Sie befürchten, jeder Einwand könne ihrer Sache nur schaden.
Vor der Eingangstür auf der Straße redeten wir noch miteinander. Was wir nicht erwartet hatten war, dass im Abstand von knapp 20 Minuten genau 32 Mitarbeiter der Behörde an uns vorbei gingen, um ihre tariflich zugesicherte Mittagspause zu genießen. 32 gut gekleidete Frauen und wenige Männer, den existenziellen Sorgen der Wartenden fern, sie machten gemeinsam ihre Pause, während oben im Haus für Männer, Frauen und Kinder die Zeit dahin plätscherte.
80 Mitarbeiter hat diese Behörde. 30 Prozent waren an diesem Tag im Urlaub oder krank. 32 gingen zwischen 12 und 13 Uhr in die Pause. Das Amt arbeitet bis 13 Uhr. Mittwochs ist geschlossen. Donnerstags bis 18 Uhr geöffnet.
Wir kamen nur auf eine kurze Visite ins Amt. Wir wurden ernst genommen, auf unsere Fragen gab es Antworten, vielleicht werden unsere Hinweise sogar Veränderungen einleiten.
Solange aber in einer Behörde das alte Denken und die neuen Herausforderungen unreflektiert aufeinanderprallen, wird es immer wieder Leidtragende und Ausflüchte geben. Bürokratie ist kein deutsches, sondern ein Grundübel jeder Gesellschaft.
Für den Besucherstrom ist u.E. das ganze Amt zuständig, alle Mitarbeiter, nicht nur jene im Publikumsbereich, deren hoher Krankenstand davon zeugt, dass sie sich überfordert und unter Druck gesetzt sehen.
Der schwere Auftrag, Migranten und Migrantinnen zu ihrem sehr persönlichen ausländerrrechtlichen Status zu verhelfen, ist nur als ein Gesamtproblem zu bearbeiten. Dann wird die Notwendigkeit des politischen Wille zu einer Reform der Verwaltung und zu deren interkultureller Öffnung unübersehbar sein. All das aber führt zu bisher unbekannten Veränderungen, die wiederum Folgen herausfordern, deren auch unangenehme Abläufe programmiert sind. Die Überraschungen lassen sich vordenken.
Das sollte vielleicht Thema eines baldigen nächsten Treffens sein, an dem wir uns gern mit unseren Erfahrungen beteiligen.
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